In
einer Predigt des 8. Jh. aus dem Kloster Einsiedeln ergeht folgende
Warnung: "Nicht Christ, sondern Heide ist, wer Lieder und
Zaubersprüche spricht, wer Tiere oder Menschen beschwört
und wer behauptet, dass dieses etwas nütze oder schade."
Anschließend folgt eine Aufzählung von Krankheiten, deren
Heilung mit solchen Sprüchen herbeigeführt werden soll.
Der Zauberspruch als Heilmittel war jedoch nicht alleine auf die
Kraft des Wortes angewiesen. Erst in der Verknüpfung von Wort,
Handlung und Naturessenz konnte die beabsichtigte Wirkung erzielt
werden. Was in dieser Predigt also als Zauberspruch angesprochen
wird, ist ein, für das heutige Verständnis, äußerst
problematischer Komplex aus heidnisch überliefertem Ritual
und gezielter Anwendung natürlicher Kräfte. Neben der
Heilmagie wurden Zaubersprüche aber auch in abgewandelter Form
zur Bewältigung alltäglicher Situationen eingesetzt. Hierbei
liegt der Schwerpunkt allerdings auf der Kraft des gesprochenen
Wortes und der Handlung, die Einbeziehung der Naturkräfte wird
dabei meist gänzlich ausgegliedert.
Dass Zaubersprüche im Mittelalter sehr geläufig waren,
belegt neben der angesprochenen Predigt noch die Vielzahl von weltlichen
und geistlichen Gesetzestexten, die entweder den Gebrauch rigoros
verboten oder zumindest einschränkend regelten. So durften,
laut einem angelsächsischen Bußkatalog, Kräuter
nur in Verbindung mit einem Vaterunser oder einem sonstigen gottgefälligen
Gebet zur Anwendung kommen. In dieser Einschränkung wird auch
die Problematik deutlich, mit welcher die Kirche zu kämpfen
hatte. Einerseits
beruhen Zaubersprüche auf einer heidnisch überlieferten
Tradition, die von der Kirche teils heftig bekämpft wurde,
andererseits wird in ihnen bewährtes Wissen, etwa die Heilkunst,
tradiert. Die Grenzen zwischen dem, was als heidnisches Handeln
und dem, was als Naturwissen eingestuft wurde, sind daher fließend
und aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar.
Bei der Überlieferung mittelalterlicher Zaubersprüche
ist auf zwei Besonderheiten aufmerksam zu machen. Zuerst sind alle
Zeugnisse schriftlicher Natur. Dass sich durch die Verschriftlichung
eine ganz neue Gestaltung der magischen Handlung herausbilden musste,
ist sicher nicht zu bezweifeln. Es bedurfte einer grundlegenden
Überarbeitung der traditionellen mündlich-rituellen Weitergabe
und für diese neue, rein verbale Beschreibung gab es wenig
Muster. So ist über den Kontext, in welchem die Handlung stattfand
ebenso wenig festgehalten wie über die Personen, welche die
Handlung vollzogen. Häufig fehlt bei der Niederschrift sogar
jegliche Spezifizierung der eigentlichen Handlung und nur der Wortlaut,
der eigentliche Spruch, ist festgehalten. Dies verwundert nicht,
denn auch die liturgischen Schriften klammern die Handlung aus.
Auch hier wird nur das Mündliche festgehalten und der genauen
Ablauf der Zeremonie wird als bekannt vorausgesetzt. Damit wäre
auch schon der zweite Punkt angesprochen, nämlich dass die
Schreiber der Zaubersprüche dem Klerus angehörten. Nur
in Klöstern wurde die Schreibkunst gepflegt und weitergegeben.
Es lässt sich nachweisen, dass einige der Zaubersprüche
Kopien darstellen, also aus anderen Handschriften heraus nahezu
in originalgetreuer Wortform übernommen wurden. Die Mehrzahl
an überlieferten Sprüchen weist jedoch keine zusätzlichen
Varianten auf. Über thematisch wiederkehrende Elemente liegt
aber die Vermutung nach einheitlichen Vorlagen nahe. Diese thematischen
Verknüpfungen finden sich sowohl auf dem Kontinent als auf
den britischen Inseln. Ein Sachverhalt, der dazu führte, für
die Zaubersprüche gemeingermanische Quellen anzusetzen.
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