Die Ähnlichkeit der beiden Sprüche ist unverkennbar. Aufbau, Form und Inhalt stimmen nahezu überein und Abweichungen lassen sich nur in der Wortwahl und Formulierung ausmachen. Solche Varianten treten typischerweise bei der mündlichen Übermittlung ein. Während Text A noch relativ gut erhalten ist, zeigt Text B besonders im Beschwörungsteil (Z.7-14) deutliche Vereinfachung und sogar den Schwund einer Zeile auf. Diese Abweichungen sind jedoch sicher der schriftlichen Übertragung anzulasten. Somit bieten die beiden Sprüche ein gutes Beispiel für recht unterschiedliche Variationsprozesse, die sich während der Weitergabe eingestellt haben. Nur in den seltensten Fällen lassen sich dabei entstandene Verfälschungen identifiziert, da sich die Überlieferung auf einen einzigen Text beschränkt. Die Rekonstruktion eines möglichen Originals ist daher sehr schwierig und muss recht oft kritisch hinterfragt werden.

Christi GeburtDer Aufbau der Sprüche ist klar gegliedert. Die beiden ersten Zeilen geben an, in welchem Zusammenhang der Spruch zu verwenden ist und leiten über zum ersten Rezitationsteil (Z.3-6). Dieser, wie auch der letzte Block (ab Z.16 bzw. 15) haben zum Ziel, die Diebestat bekannt zu machen. Ein Umstand, dem der damaligen Rechtslage eine besondere Bedeutung zukam. Diebstahl musste unverzüglich ausgerufen werden, denn nur so konnte der Tatbestand des Diebstahls festgelegt werden. Die Gesetze gingen sogar soweit, dass ein Bestohlener, der das Gerüfte (lat. clamore) unterliess und später gegen den Dieb klagte mit einer Geldstrafe belegt wurde. Daneben war es einem nicht bei der Tat gestellten Beschuldigten möglich, die Klage abzuwenden, wenn sich eine genügend große Anzahl von Personen auffinden ließ, die seine Unschuld beeiden konnten. War die Tat also nur wenigen bekannt, so war der Beschuldigte in der Lage, genügend Leute ausfindig zu machen, die zu seinen Gunsten einen Eid ablegen würden.

Hl. HelenaDie eigentliche Beschwörung hingegen (Z.7-15 bzw.14) dient dazu, das gestohlene Gut zurückzubringen. Die hier angeführte Crux Christi-Formel scheint eine sehr weite Verbreitung gehabt zu haben, denn sie findet sich auch in nahezu indentischer Formulierung in späteren Sprüchen aus Flandern und aus Skandinavien.

Wie beim Spruch gegen Viehdiebe, wird auch hier die Kreuzfindungslegende der Hl. Helena in vorbildhafter Weise angesprochen. Genauso, wie das von den Juden entwendete Kreuz, soll auch der gestohlene Besitz wieder aufgefunden werden. Das Kreuz selbst wird dabei als Instrument zur Wiederbeschaffung beschworen.


Anmerkung: Entgegen einigen Editionen wie etwa den ASPR ist hier die Zeilenaufteilung an den inhaltlichen Aufbau angepasst.